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Unsere wirkungsvollsten Kostüme sind die Mutmaßungen und Vorurteile, die das Publikum uns entgegenbringt.
Rheinvar der Großartige
Als zwei Tage später die letzte große Vorstellung zu Ende war, verließ das Publikum von Chusuk das Theater und verteilte sich in der Nacht. Rheinvar war nicht daran interessiert, sich unter die prominentesten Baliset-Hersteller oder die Vertreter der verschiedenen Harmonieholz-Familienverbände zu mischen. Sobald der letzte Vorhang gefallen war, wurde der Anführer der Truppe zu einem strengen Projektleiter. »Zeit zum Aufbruch! Wir dürfen keine Minute vergeuden. Die nächsten Auftrittstermine, die nächsten Planeten warten schon auf uns. Doch bevor wir dort eintreffen können, müssen wir von hier aufbrechen.«
Immer noch mit seiner glitzernden weißen Jacke und dem Zylinder erteilte Rheinvar Paul und Bronso die Anweisung, beim Abbau der Kulissen und Holoprojektoren zu helfen, die Kostüme einzupacken und Suspensorpaletten zu beladen, die dann zum Raumhafen transportiert wurden. Er hatte eine erhebliche Bestechungssumme gezahlt, damit die letzte Frachtfähre dieses Abends wartete und sie rechtzeitig zum Heighliner im Orbit brachte, der in wenigen Stunden abfliegen würde.
Paul trat zur Seite, als sechs große Männer eine schwere Kiste auf einen breiten Tieflader schoben, und fragte Bronso: »Hast du Sielto gesehen? Oder irgendeinen anderen der Gestaltwandler, seit die Vorstellung vorbei ist?«
»Woher soll ich das wissen? Es könnte jeder von diesen Leuten hier sein.«
Paul schüttelte den Kopf. »Inzwischen erkenne ich die meisten anderen Arbeiter wieder. Ich habe die Gestaltwandler nicht mehr gesehen, seit sie sich verbeugt haben und ins Zelt zurückgelaufen sind.«
»Vielleicht hat Rheinvar ihnen eine andere Aufgabe gegeben.«
Der Anführer der Truppe brüllte die beiden Jungen an. »Beeilung! An Bord des Heighliners könnt ihr so viel schwatzen, wie ihr wollt, aber wenn wir die Fähre nicht rechtzeitig erreichen, berechnet mir der Pilot einhundert Solaris für jede Extraminute. Das werde ich euch vom Gehalt abziehen!«
»Sie bezahlen uns doch gar kein Gehalt«, entgegnete Bronso.
»Dann überlege ich mir etwas anderes, um euch dafür büßen zu lassen!«
Die Jungen machten sich eilig wieder an die Arbeit, obwohl sie weiterhin nach den Gestaltwandlern Ausschau hielten. Sobald die letzten Bodenfahrzeuge mit Kisten und Paletten vollgeladen waren, kletterten Paul und Bronso auf einen Stapel und fuhren mit, als das Gefährt zum Raumhafen von Sonance rollte. Dort wartete eine alte, schmutzige Frachtfähre auf sie, in weißes Flutlicht getaucht. Winzige Gestalten huschten umher und verstauten die letzten Habseligkeiten der Truppe.
Paul hatte immer noch nichts von Sielto gesehen, obwohl sie in Kürze starten würden. Er folgte Rheinvar die Rampe hinauf, hinter einer der letzten Suspensorplattformen. »Entschuldigen Sie bitte, Herr. Die Gestaltwandler ...«
»Wenn sie nicht rechtzeitig hier sind«, fügte Bronso hinzu, »ist nicht mehr viel von der Artistentruppe übrig.«
Rheinvar schien nicht im Geringsten besorgt zu sein, als er geduckt das Schiff betrat. »Sie haben ihren eigenen Zeitplan. Macht euch keine Sorgen – sie sind Profis.«
Mit einem letzten Blick auf den beleuchteten Raumhafen erkannte Paul eine Gruppe identisch aussehender Männer, die mit schnellen Schritten auf das Schiff zuliefen. Plötzlich gerieten sie in den Lichtkreis des Landefelds und rannten über die Panzerbetonfläche.
Die Triebwerke des Frachtschiffs summten pulsierend, als der Pilot den Systemcheck abgeschlossen hatte, und zischend entwichen Abgase durch Überlaufröhren. Paul hielt an der Schleuse inne und winkte der Gruppe, sich zu beeilen. Dann liefen alle Gestaltwandler ohne Hektik die Rampe hinauf. Bronso musterte die Gruppe. »Ich kann nicht sagen, welcher von ihnen Sielto ist, aber er muss dabei sein.«
»Ich bin derjenige, den ihr Sielto nennt.« Der Gestaltwandler blieb stehen, während seine Kollegen weiterliefen und im schwach beleuchteten Innern des Frachtschiffs verschwanden. Zwei von ihnen rochen nach Rauch.
Ein Schweißfilm glänzte auf Sieltos blasser Haut. Paul bemerkte, dass er Blut an den Händen und rötliche Spritzer an den Ärmeln hatte. »Hast du dich verletzt?«
»Das ist nicht mein Blut.«
Als die Frachtrampe eingezogen wurde, schloss sich automatisch die Einstiegsluke, und sie mussten sich ins Schiff zurückziehen. Die übrigen Gestaltwandler waren bereits in den Korridoren verschwunden, ohne mit den Jungen zu sprechen. Nur Sielto blieb bei ihnen. »Wir hatten noch einen weiteren Auftritt – eine Pflicht, die wir erfüllen mussten.«
Als er das Blut und den Rauchgeruch in Zusammenhang gebracht hatte, platzte Bronso mit einer Schlussfolgerung heraus, die Paul nicht auszusprechen gewagt hatte. »Ihr habt jemanden ermordet, nicht wahr?«
Sieltos Gesichtsausdruck blieb nichtssagend. »Nach der professionellen Definition, unter der wir agieren, ist ein notwendiger Assassinenauftrag kein Mord. Es ist lediglich ein politisches Werkzeug.«
Das Deck vibrierte heftig, und Paul hielt sich an der Wand fest. Im Gegensatz zu Passagierschiffen, wo jeder einen sicheren und bequemen Platz fand und sich mit Gurten anzuschnallen hatte, verfügte das Frachtschiff über keine solchen Annehmlichkeiten. Während das Gefährt mit einem Ruck vom Boden abhob, konzentrierte sich Paul auf das, was Sielto gesagt hatte. »Politisches Werkzeug? Was ist ein ›notwendiger‹ Assassinenauftrag? Du ... du bist ein Gestaltwandler der Tleilaxu – ich dachte, ihr hättet keine politischen Interessen.«
»Richtig. Wir verfolgen keine eigenen politischen Interessen. Wir sind Mimen, die eine Rolle spielen. Wir sind Dienstleister.«
»Ihr seid bezahlte Assassinen«, sagte Bronso mit einem schiefen Grinsen. »Söldner.«
»Artisten«, stellte Sielto richtig. »Man könnte sagen, dass wir die Rolle von Assassinen spielen – im wahren Leben. Es besteht immer wieder die Notwendigkeit, lästige Personen zu eliminieren, und wir führen diese notwendige Aufgabe lediglich aus.«
»Aber wen habt ihr getötet? Wer hat euch beauftragt und warum?«, wollte Paul wissen.
»Oh, ich kann euch keine Namen oder Einzelheiten nennen. Die Gründe für diesen Auftrag sind irrelevant, und wir sind nicht parteilich.«
Sielto zeigte weder ein schlechtes Gewissen noch Bedauern darüber, dass er getötet hatte, und seine Offenbarungen beunruhigten Paul zutiefst. Sein Großvater Herzog Paulus war in der Stierkampfarena auf Caladan einem Assassinenanschlag zum Opfer gefallen. Paul erinnerte sich auch an den traumatischen Angriff durch Graf Hundro Moritani während der Hochzeitszeremonie seines Vaters und den anschließenden Assassinenkrieg, in dem viel Blut auf Ecaz, Caladan und Grumman vergossen worden war. »Ein solches Attentat ist nicht nur ein politisches Werkzeug – es ist eine Keule und kein präzises Instrument. Es gibt zu viele Kollateralschäden.«
»Trotzdem ist es übliche Praxis im Landsraad. Dieses Vorgehen wurde seit zahllosen Generationen geduldet, zumindest stillschweigend.« Sielto streckte die klebrigen Finger und sah sich die Bescherung an, als sie durch den schmalen Korridor zu den Besatzungsquartieren des Frachtschiffs liefen. »Wenn du Assassinen abschaffen willst, junger Mann, wirst du das gesamte politische System des Imperiums ändern müssen.«
Paul hob das Kinn. »Vielleicht werde ich das eines Tages tun.«